Wenn man sich darauf einlassen kann, findet man in der Philosophie unzählige interessante Versuche die Wissenschaft an das erkennende Subjekt zurück binden zu wollen. In der jüngeren Philosophie steht die Phänomenologie wie wohl kaum eine andere geisteswissenschaftliche „Strömung“ für einen solchen Versuch. Man könnte, denke ich, zurecht behaupten, dass dieses Anliegen für Edmund Husserl, dem Begründer der Phänomenologie, der zentrale Impetus für seine Arbeiten war.
Wenn man den Namen Husserl nennt, fällt er wohl meistens in Zusammenhang mit Heidegger, dem laut Hannah Arendt „heimlichen König“ der Philosophen. – Ich bezweifele, dass ihm dieser Titel gebührt, aber darum soll es hier nicht gehen. Husserls Bekanntheit hängt – wohl zum größten Teil – von der Bekanntheit Heideggers ab; denn Husserl war für Heidegger eine Art Mentor.
Diese beiden Denker eint, dass ihre Texte nicht sehr leicht zugänglich geschrieben sind, was damals wie heute (und besonders in Bezug auf Heidegger) zu mancherlei Spott und Parodien über die eigenartigen Ausdrucksweisen führte, die sie prägten. Ebenfalls gemein war ihnen der Anspruch die Philosophie gerade durch ihre Methoden des Denkens auf neue Bahnen zu bringen. – Ob ihnen das gelang, soll wiederum auf einem anderen Blatt stehen.
Zur Vorgeschichte: Während die Philosophie nach dem Auftritt von Geistern wie Kant und Hegel noch etwas benommen von deren Schlagkräftigkeit danieder lag, feierten die empirischen Wissenschaften weitere große und ehrenwerte Erfolge. Zu diesen Erfolgen gehören auch die ersten Schritte einer streng auf Empirie ausgerichteten Disziplin, die sich Schritt für Schritt (noch) unter der „Schirmherrschaft“ der Philosophie einen Namen machte: Die Psychologie.
Zu Zeiten Kants war es noch schwer vorstellbar, dass die Psyche selbst mithilfe quantifizierender Methoden zu einem Untersuchungsgegenstand werden könne. Die Psychologie zeigte nun aber, dass das durchaus möglich war. Bestimmt nicht zuletzt in Reaktion auf diese neue wissenschaftliche Disziplin machte Wilhelm Dilthey schließlich die Unterscheidung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften hoffähig.
In diesen Zusammenhang gehört auch der Ansatz der husserlschen Philosophie. Sie ist entscheidend geprägt durch die Abgrenzung gegen den „Psychologismus“, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts – kurz gesagt – so weit geht zu behaupten, dass Logik mithin die Mathematik aus den Tätigkeiten der Psyche entspringen. Die Psychologie wäre damit als einzige Wissenschaft, die diese Vorgänge objektiv beschreiben könne, die Grundlagenwissenschaft schlechthin.
Der daraus folgenden Forderung, dass die Logik sich der Psychologie subordinieren müsse, begegnet Husserl in seinen „logischen Untersuchungen“. Sein Hauptargument dagegen ist sinngemäß: Die Psychologie könne nicht der Logik übergeordnet sein, weil sie die Gültigkeit der Logik für die Rechtfertigung ihrer Erkenntnisse immer schon voraussetzen müsse. – Wenn nämlich die Methode der Psychologie die Quantifizierung für ihre Erklärungsmodelle benötige, könne sie die psychischen Leistungen der Quantifizierung nicht auch wieder mittels Quantifizierung erklären wollen.
Schon in den Logischen Untersuchungen schält sich die Richtung heraus, in die Husserls Philosophie dann gehen wird. Die leitenden Fragestellungen sind dabei zunächst: Wie kommen wir überhaupt zur Logik und auf welchem „Fundament“ könne man sie eigentlich „aufbauen“?
Husserls Ausgangspunkt, um diese Fragen zu beantworten, ist der ständige Bezug auf die Leistungen des Bewußtseins. Jene Instanz also, auf die wir uns im alltäglichen Leben immer schon beziehen müssen, wenn wir etwas als tatsächlich existierend oder real wahrnehmen. Dazu gehört ganz entschieden auch das, was man gemeinhin als erträumt, phantasiert, eingebildet oder erhofft etc. bezeichnet.
Die minutiöse Beschreibung von Bewußtseinsinhalten und -prozessen kennzeichnet also seine Philosophie. Dabei bevorzugt er bewusst den Weg des sprachlichen Ausdrucks, weil er sich – selbst aus der Mathematik kommend – darüber im Klaren ist, dass gerade auch mathematische Konventionen manchmal verdecken könnten, worum es ihm geht. [(Ein kleines Beispiel dazu, das mein Professor oft vorgebracht hat: Man frage sich einmal, warum 5 + 5 = 10 sein müsse. – Ist es nicht auch möglich und vielleicht sogar „logischer“ zu sagen: 5 + 5 = 2?) – Wen diese Art von Fragen besonders interessieren sollte: Ein Link zu Husserls Schrift „Philosophie der Arithmetik“]
Husserl bringt mit seiner Philosophie den Mut auf die methodischen Konventionen in der Wissenschaft nicht einfach als gegebene „Werkzeuge“ zur Erklärung der Welt hinzunehmen; ihn beschäftigen vielmehr die stillschweigenden Bedingungen, die vor dem Gebrauch des „Werkzeugs“ stehen. Kurzum: Warum es so funktionieren soll, wie es funktionieren soll.