Über das Sammeln
by Phil Eulenspiegel
Das Sammeln darf wohl als eine der ältesten menschlichen Errungenschaften bezeichnet werden, wenn man bedenkt, dass ein Begriff, der in die menschliche Frühgeschichte gehört, ihn explizit im Titel führt. Der Jäger und Sammler, der bei seinen Beutezügen zirkulär verfährt (vom Unterschlupf zur Beute und zurück) und schließlich alles zusammenhäuft, lässt also schon das Grundschema erkennen nach dem wir bei unseren Sammlungen verfahren.
Wie allgegenwärtig das Thema Sammeln ist, erkennt man schnell an der Bedeutung der aktuellen Debatte über die „Datensammelwut“ der NSA. Auch wenn dort das Sammeln inzwischen von Maschinen übernommen wird, lassen sich leicht Parallelen zum menschlichen Sammelverhalten ziehen: Es werden Daten angehäuft und anschließend nach Schlüsselbegriffen gefiltert.
Manfred Sommer, der sich mit dem Thema des Sammelns philosophisch beschäftigt hat, weist uns auf einige elementare Eigenschaften des Sammelns hin:
Dinge, die einander ähnlich sind, nennen wir gleich. Gesammelt wird stets Gleiches. Und Dank ihrer Gleichheit lassen sich viele Dinge dennoch mit einem mit einem Begriff bezeichnen[…].1
Wichtig einzusehen, ist hierbei, dass „[d]er eine Begriff, der die Sammeltätigkeit führt und lenkt, […] keineswegs immer in einem Wort ausdrückbar sein“2 muss. Elektrogeräte der Firma Siemens aus den 60er Jahren können auch einen Begriff bilden.
Viel spannender als das, was sich beim Gesammelten gleicht, ist aber das, was es gleichzeitig voneinander unterscheidet.
Es gab eine Zeit, in der es noch Pfennige gab und junge Mädchen sie sammelten, um sich davon irgendwann ihre Brautschuhe zu kaufen. Betrachten wir eine Solche Pfennigsammlerin: 4579 Stück hat sie schon beisammen; daß die einzelnen Münzen, die sie in einer Blechdose aufbewahrt, sich voneinander unterscheiden durch einzelne aufgeprägte Buchstaben und Jahreszahlen, das war und ist und bleibt ihr gleichgültig.3
An diesem Beispiel lässt sich nun leicht erkennen, dass die Pfennigsammlerin die Pfennige anhäuft. Sie tut das, um damit etwas anderes zu erreichen, nämlich: Brautschuhe zu kaufen. Es ist aber durchaus denkbar, dass sie die Pfennige gerade wegen der auf ihnen eingeprägten Buchstaben (die ja bekanntlich die Prägeanstalt angeben) und Jahreszahlen sammelt. Es kommt dann nicht mehr auf die Menge der Pfennige an, sondern darauf, dass sie möglichst keine zwei gleichen hat. Die Sammlung als Ganze bleibt dennoch eine Pfennigsammlung. Wer aber so sammelt, sammelt nicht mehr anhäufend, sondern nach ästhetischen Gesichtspunkten. Die so sammelnde Pfennigsammlerin wird also kaum noch für Brautschuhe sammeln (obwohl das durchaus noch möglich sein könnte, wenn sie bei der Sammlung von vornherein vorhatte, sie einem anderen Pfennigsammler zu verkaufen).
Solcherlei Betrachtungen führen natürlich nicht (jedenfalls nicht direkt) zu einer differenzierten Ansicht bezüglich des Datensammelns der NSA. Sie liefern keine Argumente und sind selbst nicht argumentativ strukturiert im Sinne eines „Wenn-Dann“. Sie sind ein „Dienst an der Schärfung der Wahrnehmungsfähigkeit“4.
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1Manfred Sommer: Sammeln. Ein philosophischer Versuch, Frankfurt a. M. 2002, S.26.
2Ebd. S. 26 f.
3Ebd. S. 28.
4Hans Blumenberg: Wirklichkeiten in denen wir leben, Stuttgart 2009, S.6.