Kleine Anonymitätspolemik

von Phil Eulenspiegel

„Wer für seine Meinung nicht mit seinem echten Namen einstehen kann, dessen Meinung ist auch nichts wert.“ ist (sinngemäß) das Credo der Gegner von Anonymität im Internet. Man verstecke sich hinter Pseudonymen, um mindestens bösartige, in jedem Fall aber gesesellschaftszersetzende Meinungen in den digitalen Äther zu pumpen, ohne dass Angst gehabt werden müsse, dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Eine fürchterliche Dystopie entsteht direkt vor unseren Augen, in der die Namen- und Gesichtslosen die öffentliche Meinung mitbestimmen und letztlich vielleicht sogar kontrollieren könnten…

Ich halte es nicht für Zufall, dass die Redensführer gegen die Anonymität im Netz hauptsächlich aus der politischen und/oder journalistischen „Klasse“ entstammen. Denn, so lasst mich ausholen: Diese Namen- und Gesichtslosen sind Bürger bzw. Leser, an deren Schweigen man sich offensichtlich so sehr gewöhnt hat, dass einen jetzt die Angst packt, weil diese undefinierbare Masse, die vorher herzlich egal war, auf einmal das Sprechen erlernt. Unter Politikern und Journalisten ist man schließlich „gewohnt“, dass man sich gegenseitig und untereinander „mit offenem Visier“ die Meinungen ins Gesicht geigt. – Das gehöre schließlich zum Tanz und dieser Tanz ist traditionell. Da quatscht man nicht einfach so rein! Und schon gar nicht, wenn man eine Maske auf und den Eintritt nicht bezahlt hat! – Eine Gesellschaft muss eben Geschlossenheit zeigen, auch wenn man auf den bloßen Gestus der Offenheit eben nicht verzichten kann.

Man fordert also, dass man immer wissen müsse, mit wem man argumentiert, wenn man argumentiert. Wie sollte man schließlich sonst auf die Interessen der Argumentierenden schließen, wenn man nicht deren Hintergründe ermitteln kann? Und außerdem: Wie soll man die gerade bei Politikern sehr beliebte Redestrategie des argumentum ad hominem anwenden, wenn man gar nichts über das Gegenüber weiß? Das sind in diesem Zusammenhang zugegebenermaßen schwierige Fragen, wenn man sich nicht auf die Gewichtigkeit der sachlichen Argumente stützen kann.

Sachlichkeit, ja, das ist das richtige Stichwort. Die Internetmenschen werden sachlicher werden, wenn sie gezwungen sind mit ihrem „Klarnamen“ zu agieren! Sie werden schafszahm auf den digitalen Wiesen weiden und sich künftig zwei- oder gar dreimal überlegen, ob sie die behütete Zone in Frage stellen. Zwischendurch quatscht man dann irgendwas von Freiheit und alle sind beruhigt. – Oh, da bin ich wohl etwas unsachlich geworden. Ich bitte um Verzeihung.